Jens Michelsen liest Elsa Davidsohns Bericht „Meine Vergangenheit“ (1999) vor, der in der im Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte unter der Signatur FZH-Archiv, B_D 004 (Elsa Davidsohn und Senta Levy), 32 archiviert ist, und Elsa Davidsohn kommentiert.
[…]
M: „Nachdem Palästina 1948 Israel wurde, ja, waren die Abgaben viel höher als bei den Engländern, und so haben wir uns entschlossen, Senta und ich, 1958 nach Hamburg zu gehen, da es die Geburtsstadt von Senta war und wir eine Wohnung in Aussicht hatten“, ja. Oh ja. Es waren also hauptsächlich so finanzielle Gründe, dass Sie gingen?
D: Ja.
M: Oder hatten Sie auch, äh, Sorge, dass es zu viel Kram…
D: Auch sprachlich, auch sprachlich.
M: Sprachlich auch, mhm.
D: Man konnte nicht richtig verstehen, Theater oder Konzerte oder…
M: Mhm.
D: Wir waren schon zu alt.
M: Sie waren schon zu alt. Ja, ja… Und sowas wie Konzerte und Theater, das war wichtig für Sie?
D: Genau
M: Ja…
M: Genau
M: Ja… Fuhren Sie denn nach Haifa zum Konzert und Theater? Oder wo fuhren Sie hin?
D: Ach, haben wir keine Zeit gehabt.
M: Keine Zeit gehabt…
D: Wir waren vollkommen abgeschlossen.
M: Aha, ja…
D: Ne, keine Zeit und kein Geld.
M: Ja…
D: Hehe. Ne, das war… Und deshalb haben wir es auch gemacht.
M: Ja, ja, verstehe… Also auch kaum Freunde gehabt und so?
D: Ja, doch.
M: Doch das ja…
D: Da waren wir in die Loge, in die B‘rithloge Gemeint ist vermutlich die B'nai B'rith-Loge.
M:: Ah ja, da gingen Sie hin?
D: Freitagabend dann, ja doch.
M: Ah ja.
D: Innerhalb der KJ oder KJ vermutlich ist Keren Kayemeth, der Jüdische Nationalfonds gemeint ist die Mehrzahl?…
M: Ja…
D: Da haben wir schon Freunde gehabt, aber ist nicht viel rausgekommen.
M: Mhm. Haben Sie auch die Kontakte, später, als Sie in Hamburg waren, nicht mehr so sehr gehalten?
D: Ach was.
M: Ne?
D: Die sind mittlerweile weg gestorben alle.
M: Ja…
M: Ich les mal weiter: „Ich habe mich hier zur Ruhe gesetzt.“
D: Jaha.
M: Mit, ich rechne mal…
D: 55!
M: … 50 Jahren.
D: 55!
M: „55 Jahren… und die Wirtschaft geführt. Senta ist in die Behörde gegangen und hatte es sehr schwer, nach 18 Jahren die deutschen Gesetze zu lernen.“ Ah ja.
M: „Aber sie hat es geschafft. Durch die Wiedergutmachung konnten wir uns eine Eigentumswohnung kaufen.“ Das ist die hier? Oder… ah, ja. „Und alle zwei Jahre ein neues Auto.“ Toll!
D: Hehe.
M: Ja, das ist ja Klasse! Ähä. „Wir haben wunderschöne Reisen gemacht, bis Senta krank wurde und leider am 22.1.99 von uns gegangen ist. Sie hatte sich mit 60 Jahren pensionieren lassen und ist mit 85 Jahren gestorben. Ich habe vergessen zu sagen, dass mei-, ja, dass meine Mutter, meine Schwiegermutter, mein ältester Bruder mit Frau und Tochter, die damals 17 Jahre alt war, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen aus Berlin abgeholt wurden und im… im Osten verschollen sind.“ Aber Sie haben noch ein Wort dazwischen geschrieben…
D: Mit, glaub ich.
M: Ne, Sie haben nur: „abgeholt wurden und…“
D: Weiß ich nicht.
M: Wissen Sie nicht?
D: „…und vergast wurden wahrscheinlich! Oder wie?“
M: Ja… Ja…
D: Ah, meine Brille…
M: „abeholt wurden und…“
D: Will mal Ihre nehmen, vielleicht kann ich damit sehen.
M: Ja, gucken Sie mal. Geht das?
D: Ne!
M: Ne. Geht nicht? Hehehe.
D: Hehehe
M: Gut. Dann nehmen Sie mal Ihre, ja?
D: „und…“ Weiß ich auch nicht, was ich da geschrieben hab… Hehe.
M: „gebracht und verschollen sind.“
D: Wissen sie auch nicht, wahrscheinlich, ja…
M: Dazwischen kommt noch ein Wort, ja.
D: „und laut Bericht“, so was.
M: Ach, laut Bericht! Ja.
D: Ja: „im Osten verschollen sind“
M: Ah ja. Das sind ja… ist ja wirklich ganz, ganz viel aus Ihrer Familie. Und Sie wissen nicht, wo, wo sie umgebracht wurden?
D: Doch, meine Mutter, ich hab so 'n Ding da gekriegt!
M: Hmh.
D: Äh, die soll nach Minsk gekommen sein. Und die anderen waren in Theresienstadt.
M: Ah ja.
[…] Gekürzt: Gespräch über Mädchennamen der Mutter und Geschichte von Verwandten
M: Ja, und jetzt schreiben Sie: „Das erfuhr ich aber erst“, also von dem Tod…
D: Ja.
M: …Ihrer Verwandten? „das erfuhr ich aber erst einige Jahre später.“ Ja, hier! „Da ich im Jahr, Juli 1942 durch das Rote Kreuz Post von allen bekam. Da war Berlin judenrein.“ Ja, wie man sagte, ja. „Mein…“ Ah ja. „Meine beiden anderen Brüder verheiratet, aber ohne Kinder, sind denn dann in Amerika gestorben. So bin ich als Jüngste allein geblieben.“ Ja, ja. „Hamburg, den 30.8.1999. Elsa Davidsohn.“
D: Genau zwei Jahre, nicht?
M: Ja, fast genau zwei Jahre. Ja…
D: Wie die Zeit vergeht…
M: Ja, vergeht… Das haben sie auch…
D: Das hab ich doch so hingeschmiert!
M: Haben Sie so aufgeschrieben, ja?
D: Ich glaube keine Viertel-, halbe Stunde hat es gedauert.
M: Ja, ja. Ja, man… Deshalb ist’s ganz gut, wenn man doch noch ein bisschen da nachfragt. Darf ich das mal mitnehmen und kopieren? Das wär sehr nett, denn…
D: Ja.
M: Jetzt haben wir zwar den zweiten Teil auf Band gesprochen, aber…
D: Heh!
M: ähm, das ähm, ist dann doch besser, wenn man die schriftliche Vorlage hat. Ja, das, ja… Ja, jetzt leben Sie schon 43 Jahre wieder in Hamburg?
D: Ja.
M: Ja. Haben Sie sich denn in Hamburg wohl gefühlt eigentlich relativ bald? Oder dauert das lange?
D: Na Gott, zuerst hab ich in die… wär', nach Berlin wäre ich nicht mehr gegangen.
M: Warum?
D: Weil ich in jedem 'nen Nazi gesehen hätte, der meine Wohnung kaputt geschlagen hat.
M: Ja…
D: Und sie wollte nach Hamburg. Von Anfang an hat sie gesagt, sie geht nach Hamburg. Und wir haben eine sehr schöne Wohnung gekriegt, von einer Cousine, die ist nach Amerika gegangen. Und hab mich ganz wohl gefühlt. Zuerst war es sehr schwer.
M: Ja?
D: Ich hab in jedem 'nen Nazi gesehen.
M: Ja?
D: Senta nicht so, aber ich, ja
M: Ja. Nach allem, was Sie erlebt haben, ne? Ja…
D: Aber man hat sich zügig gewöhnt. Die Leute waren immer alle so nett zu mir, ne? Hehe.
M: War doch ne… ganz nett dann, die Leute, ja?
[…]

Jens Michelsen reads Elsa Davidsohns report entitled “Meine Vergangenheit“ [“My Past“] (1999), which is archived in the archives of the Research Center for Contemporary History under call number FZH-Archiv, B_D 004 (Elsa Davidsohn and Senta Levy), 32, and Elsa Davidsohn comments the reading.
[…]
M: “After Palestine became Israel in 1948, indeed, the taxes were much higher than with the British, and so we decided, Senta and I, to go to Hamburg in 1958, because it was Senta's birthplace and we had prospects to get an apartment“, yes. Oh, yes. So it was mainly for such financial reasons that that you went?
D: Yes.
M: Or were you also, uh, worried that it was too much stuff…
D: Also in terms of language, also in terms of language.
M: In terms of language, too, mhm.
D: You couldn’t really understand, theater or concerts or…
M: Mhm.
D: We were already too old.
M: You were already too old. Yes, yes... And something like concerts and theater, that was important to you?
D: Exactly
M: Yes…
M: Exactly
M: Yes… So did you go to Haifa for concerts and theater? Or where did you go?
D: Oh, we did not have time.
M: Didn’t have time…
D: We were completely secluded.
M: I see, yes…
D: No, no time and no money.
M: Yes…
D: He-he. No, that was... And that’s why we did it.
M: Yes, yes, I see… So you hardly had any friends and such?
D: Oh, yes, we did.
M: That you did indeed…
D: At that time, we were in the lodge, in the B‘rithloge This probably refers to the B'nai B'rith-Lodge.
M: Ah yes, that’s where you went?
D: Friday evenings, yes indeed.
M: Ah yes.
D: Inside the KJ or KJ  The abbreviation probably refers to Keren Kayemeth, the Jewish National Fund is the plural?…
M: Yes…
D: We did have friends there but did not get out much.
M: Did you also maintain those contacts, later, when you were in Hamburg, or not so much?
D: Nah.
M: No?
D: They have all died off in the meantime.
M: Yes…
M: Let me read on: “I have retired here.“
D: Yes, yes.
M: At the age of, I'll just do the math…
D: 55!
M: … 50 years.
D: 55!
M: “At 55 years… and managed the household. Senta went to work for the administration and had a very hard time learning the German laws after 18 years.” Ah yes.
M: “But she made it. Through the restitution, we were able to buy a condominium.” That’s this one? Or... ah, yes. “And a new car every two years.” Fantastic!
D: He-he.
M: Yeah, that is great! Uh-uh. “We took wonderful trips until Senta became ill and unfortunately passed away on January 22, 1999. She had retired at 60 and died at 85. I forgot to say that my, yes, that my mother, my mother-in-law, my oldest brother with his wife and daughter, who was 17 at the time, uncles, aunts, cousins were deported from Berlin and went missing in the... in the East.” But you wrote one more word in between…
D: With, I believe.
M: Nah, you just [wrote]: “were deported and...”
D: I don’t know.
M: You don’t know?
D: “…and were gassed probably! Or how do you say?”
M: Yes… Yes…
D: Ah, my glasses…
M: “were deported and..."
D: I’ll take yours, maybe I can see with them.
M: Yes, take a look. Does that work?
D: No!
M: No. Doesn’t work? He-he-he.
D: He-he-he
M: Good. Then take yours, will you?
D: “and...” I don’t know what I wrote there either... He-he.
M: “deported and went missing.”
D: You don’t know either, probably, yeah…
M: There is another word in between, yes.
D: “and according to the report,” something like that.
M: Oh, according to the report! Yes.
D: Yes: “went missing in the East"
M: Ah, yes. These were, yes... were indeed really quite, quite a lot of persons from your family. And you don’t know where, where they were killed?
D: Yes, my mother, I got one of those things here!
M: Hmh.
D: Uh, she apparently ended up in Minsk. And the others were in Theresienstadt.
M: Ah, yes.
[…] Abridged: conversation about the mother’s maiden name and history of relatives
M: Yes, and now you write, “But I only learned that,” that is, about the death…
D: Yes.
M: ...of your relatives? “But I only learned about that some years later.” Yes, here. “Since in that year, July 1942, I got mail about everybody from the Red Cross. By that time, Berlin was judenrein [literally, 'clean of Jews'].“ Yes, as they said, yes. “My...” Ah, yes. “My other two brothers married, but without children, then died in America. So I was left alone as the youngest.” Yes, yes. “Hamburg, August 30, 1999. Elsa Davidsohn."
D: Exactly two years ago, right?
M: Yes, almost exactly two years. Yes…
D: How time flies…
M: Yes, it flies... You did also…
D: I scribbled it down like that!
M: You wrote it down like that, right?
D: I think it did not even take a quarter or half an hour.
M: Yes, yes. Yes, you... That is why it makes sense to ask a little bit more. May I take this with me and copy it? That would be very nice, because…
D: Yes.
M: Now we do have recorded the second part on tape, but…
D: Heh!
M: Um, that um, is better after all when you have the written template. Yes, that, yes... Yes, now you have been living in Hamburg again for 43 years?
D: Yes.
M: Yes. Did you feel comfortable in Hamburg relatively soon? Or did it take a long time?
D: Well, my goodness, at first I did... would, I wouldn’t have gone back to Berlin anymore.
M: Why?
D: Because I would have seen in every person a Nazi that smashed up my apartment.
M: Yes…
D: And she wanted to go to Hamburg. From the beginning, she said she was going to go to Hamburg. And we got a very nice apartment, from a cousin who went to America. And I felt very comfortable there. At first, it was very difficult.
M: Yes?
D: I saw a Nazi in everyone.
M: Yes?
D: Senta not so much, but me, yes indeed.
M: Yes, of course. After everything you’ve experienced, right? Yes…
D: But one got used to it quickly. All the people were always so nice to me, right? He-he.
M: Was ni... quite nice then, the people, yes?
[…]